Soziale Medien neu gedacht!
Das Fediverse ist eine Chance für das aktuelle Jahrzehnt, Soziale Medien neu zu definieren!
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
einen Beitrag mit einer gewagten These zu eröffnen ist Teil eines Prozesses. Wir alle haben irgendwann in unserer Schulzeit Aufsätze verschiedener Arten geschrieben und gelernt, dass Thesen und Antithesen dazu anregen, sich mit einem Thema oder einer Materie gezielter auseinanderzusetzen.
Dies möchte ich heute aufgreifen und meine Gedanken zu der aktuellen Bewegung der „Demokratisierung des Internets – Soziale Medien neu gedacht“ offenbaren.
Der Status Quo
Das Internet ist nichts als ein riesiger Raum miteinander verbundener Server, auf denen eine schier unfassbare Zahl verschiedenster Dienste laufen.
Von der klassischen Website bis hin zu großen Streaminganbietern gibt es kaum etwas, das es nicht gibt.
Wenn wir von den sozialen Medien reden, meinen wir aber nicht das Internet als Ganzes. Soziale Medien sind ein Sammelbegriff für eine recht überschaubare Anzahl angebotener Dienste.
Ich erinnere mich noch an die frühen 2000er, als Internetforen die ersten digitalen Communitys hervorbrachten. Gruppen von Menschen, denen ein gemeinsames Thema gemein war und aufgrund derer sie sich zusammengeschlossen haben. Dezentral, aber stark voneinander abgeschottet.
Nach und nach kam das Zeitalter der großen Plattformen, von denen heute im wesentlichen folgende eine große Bedeutung haben: Facebook, Instagram, Youtube, Twitter. Selbstverständlich gibt es noch eine ganze Zahl kleinerer Anbieter, doch reichen diese 4 in diesem Artikel exemplarisch aus.Facebook und Instagram gehören Meta. Youtube gehört zu Alphabet (Google). Twitter, bis vor Kurzem eine eigenständige Firma, gehört nun einer einzelnen Person.
Nüchtern betrachtet doch äußerst erschreckend. Kann Individualität, Freiheit und Demokratie funktionieren, wenn eine einzelne Person entscheiden kann, was richtig und was falsch ist?
Die DSGVO
Hinter diesem kryptischen Begriff versteckt sich nichts anderes als die Datenschutzgrundverordnung. Ein komplexer und undurchsichtiger Gesetzestext, der vorgibt, wie in Deutschland mit den Daten der Menschen umgegangen werden soll und muss. Warum schreibe ich undurchsichtig? Vielleicht wäre unklar ein besserer Begriff. Grundsätzlich ist die DSGVO etwas sehr Gutes und Nützliches. In ihren Untiefen gibt es aber auch Aspekte, die der Digitalisierung nicht immer hilfreich gegenüber stehen. Bestes Beispiel ist die viel beschworene IP-Adresse. Sie gilt in der DSGVO nahezu als heilig und wichtigstes Merkmal, um Personen zu identifizieren. Hat die IP wirklich solch eine Macht oder sind es nicht die vielen kleinen Brotkrumen, die Datenkraken wie Facebook, Alphabet und Co. einsammeln und zu einem großen Ganzen zusammen puzzeln? Schwierig!
Doch betrachten wir nun die Vorzüge der DSGVO und die Chancen, die mit ihr einhergehen.Irgendwann in der Mitte von 2022 ließ die oberste Datenschützerin der BRD verlauten, Ämter und Behörden sollten nicht auf Plattformen wie Facebook und Co präsent sein, da diese massiv gegen die DSGVO verstießen. Soweit so gut. Auch wenn die großen Unternehmen über Server in Europa und Deutschland verfügen, so wissen wir eines ganz genau: Sämtliche Daten wandern in die USA, einem unsicheren Land für Daten.Aber was nun? Deaktivieren wir soziale Medien einfach und lassen sie hinter uns? Keine gute Idee, schließlich sind sie ein doch sehr wichtiger Baustein der Digitalisierung und Globalisierung in positiver und negativer Hinsicht.
Guten Tag, ich bin das Fediverse!
Was ist das Fediverse? Es ist ein Kunstwort aus Federation und Universe. Einfach erklärt ist das Fediverse in gewisser Weise eine kleine und modernere Form des Internets von gestern. (Ja, der Vergleich hinkt und ist technisch falsch, dessen bin ich mir bewusst) Basierend auf einem mittlerweile durch die W3C anerkannten Protokoll, dem ActivityPub, bietet das Fediverse eine Grundlage für eine Vielzahl unterschiedlichster Dienstleistungen. Eine dieser Software-Architekturen ist Mastodon, ein Microblogging-Dienst, der in seiner Handhabung eine Mischung aus Twitter und den früheren Foren darstellt. Doch dazu später mehr.
Das Fediverse hat zwei Besonderheiten, die in meinen Augen stark zu Individualität, Freiheit und Demokratie im Internet beitragen können.
- Es ist ein dezentraler Dienst
- Dienste innerhalb des Fediverse können kommunizieren
Dezentralität – Risiko oder Chance?
Wenn wir uns das Fediverse unter technischen Aspekten betrachten, fällt eines schnell auf. Wir finden kein Unternehmen, das alle Fäden in der Hand hält.
Alles, was auf dem Fediverse aufbaut, ist darauf ausgelegt, dass jeder mit dem technischen Wissen und den Ressourcen seine eigenen Instanzen realisieren kann, d.h. einen eigenen Server mit einem der Dienste des Fediverse anbieten kann. Ob für sich alleine, für eine kleine Gruppe von Nutzern oder für die Allgemeinheit spielt im ersten Moment keine Rolle. Von seiner Instanz aus ist er in der Lage, mit dem restlichen Fediverse zu kommunizieren. Genau hier kommt der größte Pluspunkt ins Spiel. Der Anwender ist theoretisch in der Lage, Herr seiner eigenen Daten zu sein.
Es sind nicht länger eine Handvoll Unternehmen, welche die Daten von Millionen von Menschen kontrollieren, sondern Tausende einzelne Instanzen, welche die Daten weniger bis hin zu Tausenden Menschen speichern.
Datensicherheit
Wo liegt für mich als Endverbraucher der Unterschied? Der Unterschied ist, dass ein einzelnes Unternehmen nicht mehr über eine solche Menge an Daten über dich verfügt, dass er Profile von dir erstellen kann und du für ihn „transparent“ wirst. Google Maps ist praktisch, oder? Aktuelle Verkehrsdaten, realistische Routen usw. Doch wie kommt Google an diese Daten? Millionen Bürger nutzen Handys mit dem Betriebssystem Android, das zu Alphabet gehört (Google).
Jede eurer Bewegungen wird erfasst und ausgewertet. Google hat Kenntnis darüber, bei welchem Arzt ihr gerade seid, wo ihr gerne einkauft und im besten Fall auch was ihr für Musik hört, wo ihr wohnt, welches Auto ihr fahrt und wo ihr arbeitet. Gruselig? Irgendwie schon und dafür brauchen sie nicht einmal deine IP-Adresse (siehe Abschnitt DSGVO)
Angenommen, ihr sucht euch eine Fediverse-Instanz in Deutschland, was ich euch nur absolut raten kann, so regelt die DSGVO ganz genau, was der Serverinhaber mit euren Daten machen darf und was nicht. Verstöße gegen die DSGVO sind kein Spaß. Für Konzerne wie Facebook und Google gilt sie selbstverständlich nicht (USA).
Hinzu kommt, dass das Fediverse mit all seinen Dienstleistungen Open Source ist, d.h. der Quellcode ist für alle einsehbar und kann theoretisch von jedem mitentwickelt werden, d.h. Geheimnisse in den Programmen gibt es nicht.
Keine Werbung, keine Benutzerverfolgung, keine Nutzerprofile, keine Monetarisierung eurer Daten.
Individualität, Freiheit, Demokratie
Können diese Punkte durch Dezentralisierung garantiert werden? Eine Garantie gibt es selbstverständlich nicht, durch die Offenheit des Systems und eure Freiheit jederzeit mit euren Daten zu einer anderen Instanz wechseln zu können, habt ihr zumindest eine Stimme und könnt Entscheidungen treffen. Wer Entscheidungen treffen kann, hat auch ein Mitspracherecht. Die erste und größte Wahl ist also stets jene: Wo lasse ich mich nieder, d. h. auf welchem Server schlage ich mein Zelt auf und welchem Betreiber bringe ich genug Vertrauen entgegen, dass meine Daten mit der größten Sorgfalt behandelt bzw. geschützt werden.
Ein Grundmaß an Kompromissbereitschaft ist in jedweder Hinsicht nötig, auch bei der Erfassung und Verarbeitung von Daten.
Für uns ist es seit jeher ein Grundbedürfnis, nach dem Motto „Nur so viele Daten wie nötig, so wenige Daten wie möglich“ zu arbeiten. Unser Webserver bspw. verzichtet vollständig auf die Verarbeitung nutzerbezogener Daten. IPs werden nicht gespeichert, die Kommunikationsverschlüsselung entspricht neuesten Standards und auch sonst erfassen wir keine Daten von euch, die nicht für die Arbeit nötig sind.
Solange für uns oder andere Nutzer daraus kein Schaden entsteht, sehen wir auch keinen Grund, von diesem Standpunkt abzurücken.
Mastodon – Mehr als ein ausgestorbenes Tier
Jetzt, da wir ausschweifend über das Fediverse philosophiert haben, widmen wir uns einem bestimmten Aspekt, der seit der Übernahme Twitters regelrecht in den Fokus der Öffentlichkeit katapultiert worden ist. Der Mikroblogging-Dienst Mastodon. Wikipedia definiert Mikroblogging wie folgt:
Mikroblogging ist eine Form des Bloggens, bei der die Benutzer kurze, SMS-ähnliche Textnachrichten veröffentlichen können. Die Länge dieser Nachrichten beträgt meist weniger als 200 Zeichen. Die einzelnen Postings sind entweder privat oder öffentlich zugänglich und werden wie in einem Blog chronologisch dargestellt. Die Nachrichten können meist über verschiedene Kanäle wie SMS, E-Mail, Instant Messaging oder das Web erstellt und abonniert werden.
Mastodon bietet sehr viel mehr, als nach dieser Definition zu erwarten wäre. Das Zeichenlimit ist standardmäßig auf 500 Zeichen erweitert, was immerhin den ersten drei Strophen des Erlkönigs entspricht. Dazu kommt die Möglichkeit, jede Internetquelle zu verlinken (inklusive Vorschau), Videos, Fotos und Audiodateien anzufügen, Umfragen zu erstellen, die Öffentlichkeitseinstellungen zu definieren und angehängte Medien speziell zu kennzeichnen.
Innerhalb des Fediverse könnt ihr anderen Nutzern folgen, d. h. unabhängig eures „Heimatservers“ Nachrichten aus allen möglichen Instanzen verfolgen. Viele Instanzen im Netz sind auch speziellen Gruppen vorbehalten (Ämter, Volkshochschulen, Vereinen, usw.).
Hier bietet Mastodon von Haus aus eine sehr praktische Funktion, denn ihr könnt entscheiden, ob ihr die Mitteilungen innerhalb eurer Instanz sehen möchtet (Lokale Timeline), Mitteilungen eures Followerkreises (Startseite) oder sogar die geballte Ladung Mitteilungen aus dem eurem Server bekannten Netzwerk (Vereinigte Timeline).
Was unterscheidet die Instanzen voneinander?
Die Regelwerke und Datennutzungsbestimmungen. Hier solltet ihr Zeit lassen und einen Server ganz bewusst wählen. Vielleicht gefällt euch privat Server A besonders gut, schließlich gibt es mittlerweile viele Regionalinstanzen und Server B ist beruflich besser geeignet.
Als Verein hosten wir seit wenigen Tagen eine eigene Instanz, die sich gezielt an Vereine richtet und zur Bildung von Kontakten, Netzwerken und für einen Erfahrungsaustausch gedacht ist. Selbstverständlich seid ihr auch als Privatperson willkommen, solange wenigstens ein Teil eurer Interaktionen mit der vielfältigen Vereinswelt zu tun hat.
Das wäre das Thema des Servers. Wie sieht es mit den Regeln aus? Ich denke, ein großer Teil öffentlicher Server legt besonderen Wert auf Anstand, Normen und die Verurteilung jedweder Form von Rassismus oder Diskriminierung, doch gibt es ganz klar schwarze Schafe unter den Instanzen. Mastodon und das Fediverse bieten die Möglichkeit, gezielt Instanzen zu blockieren und sich somit von solchen Inhalten zu distanzieren. Ab welchem Punkt aus klarer Abgrenzung eine Zensur wird, muss jeder für sich entscheiden. Im Zweifelsfall steht es euch jederzeit frei, mit euren Daten auf einen anderen „Heimatserver“ zu ziehen. Ein sehr demokratischer und freiheitsfördernder Punkt des Fediverse.
Bleibt uns noch der letzte Punkt, die Datenschutzbestimmungen.
Auch hier gibt es große Unterschiede von Server zu Server. Die Speicherung der IP der User ist nicht zwangsläufig etwas Negatives, da die DSGVO dies ermöglicht und aus der IP alleine noch keine Rückschlüsse auf die Nutzer möglich sind. Einige Server speichern ihre Zugriffsprotokolle für mehrere Monate, andere für wenige Tage oder Wochen. Unser Server speichert diese Daten aktuell nicht.
Warum hat das Fediverse das Potential, Soziale Medien neu zu definieren?
Das Internet und die Dezentralisierung – web3
Dieses Thema ist äußerst komplex und faszinierend zugleich, beschreibt es doch eine Vision der nächsten Generation des Internets als Plattform.
Ich möchte euch zu diesem Komplex einfach einen spannenden Artikel empfehlen: Zum Artikel auf basecamp.digital
Weit weniger Komplex ist der Begriff der Dezentralisierung im Zusammenhang mit den Sozialen Medien, da diese innerhalb des „web2“ schwimmen und nur ein Teilbereich dessen sind. In den frühen 2000er-Jahren betraten die heutigen „Big Player“ (große Technologiefirmen) den Markt. Google, Facebook, Amazon sind nur drei der bekanntesten in der westlichen Welt. Mehr und mehr Bereiche des digitalen Lebens bündelten sich im Laufe der Jahre im Einzugsbereich dieser Unternehmen. Abhängigkeiten wuchsen, Macht wurde genutzt und in Form von kommerzialisierten Nutzerdaten ausgebaut.
Spätestens seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk im November 2022 zeigen sich die Gefahren der Machtbündelung im Internet.
Das Fediverse ist keine schlagartig aufgetauchte Erfindung, die im Zusammenhang mit Twitter steht, sondern kam als Grundkonzept bereits um das Jahr 2008 auf. In 2016 erfolgte ein Schub durch die Veröffentlichung von Mastodon und 2018 durch die Anerkennung des Protokolls ActivityPub durch das World Wide Web Konsortium (W3C).
Die Idee dahinter? Einigen wenigen Unternehmen die Hoheit über die Daten zu entreißen und diese auf Tausende kleinere Instanzen zu verlagern.
Theoretisch könnte jeder von uns seine eigene Instanz betreiben und so alleiniger Herr über seine Daten sein, was des Guten aber zu viel wäre und sicherlich für den Normalnutzer jenseits seiner Kenntnisse und Kompetenzen läge.
Mittlerweile gibt es zu den größten Diensten in den Sozialen Medien bereits Fediverse-Alternativen (kein 1:1 Ersatz!), die ich hier kurz erwähnen möchte:
- Mastodon als Alternative zu Twitter
- Peertube als Alternative zu Youtube
- Pixelfed als Alternative zu Instagram
- Friendica als Alternative zu Facebook
Alternative oder Ersatz?
Ich schreibe ganz bewusst von Alternativen, da ein Ersatz das komplette gebotene Leistungsspektrum oder wenigstens die genutzten Funktionen ersetzen sollte. Die Macht der großen Plattformen steckt in ihrer Verbreitung und der schieren Masse an Nutzern. Auch das leichtere Finden und Folgen bestimmter Nutzer ist auf zentralen Plattformen leichter, dafür bezahlen wir dies mit unseren Daten und Nutzerprofilen.
Auch Mastodon, Peertube und Co. ermöglichen es uns spezifischen Accounts zu folgen, es macht nur ein wenig mehr Mühe, diese zu finden. Dafür bezahlen wir hier nicht mit der Offenlegung unseres Lebens und sind keine Konsumkälber, die durch die Konzerne gemolken werden.
Ist das Fediverse die Zukunft?
Das kann ich euch nicht beantworten. Die Zukunft ist immer das, was wir daraus machen. (Ist das nicht ein Zitat aus „Zurück in die Zukunft“?)
Ist es ein richtiger und überfälliger Schritt in Richtung „Soziale Medien: The next Generation“? Absolut!
Lasst euch auf das Abenteuer ein, der einzige Preis ist ein wenig Lebenszeit, die ihr für das Entdecken einer neuen digitalen Umgebung aufgebracht habt.
Da wir gerade bei dem Thema sind, auch im Bereich der Kommunikation also der Messenger, gibt es im Fediverse eine vielversprechende Plattform: Matrix.
Doch dieses Thema schneide ich erst an, wenn wir gut und wohlbehalten bei Mastodon angekommen sind.
In diesem Sinne gestattet mir ein wenig Werbung: